Streitkultur bei der ZEIT Debatte in Frankfurt a. M.
Am 22. November 2013 machte ich, Konrad Gütschow, mich zusammen mit Jan Ehlert auf den Weg nach Frankfurt zur ZEIT DEBATTE. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt zwar noch nie zusammen geredet, allerdings hatte Jan gerade in der Vorwoche beim Turnier in Freiburg eine tolle Leistung gezeigt, so dass wir guter Dinge waren. Von den guten Ergebnissen der ersten beiden Turniere des Jahres beflügelt, erschien ein Break zwar nicht als sicher, aber dennoch als möglich. Ganz entscheidend war hierbei das Teilnehmerfeld, an dem wir uns würden messen müssen.
Das Teilnehmerfeld war dann auch durchaus solide. Die Crème de la Crème meiner „Generation“ (also drei Jahre Debattier-Erfahrung) war anwesend. Marc und Marcel aus Aachen, Tobi und Ruben aus Marburg, Felicia und Stefan aus Magdeburg; nur Franziska und David aus Göttingen kannte ich bis dato noch kaum. Sie hatten aber den Ruf, von Break zu Break zu eilen. Hinzu kam die übliche Anzahl an soliden Teams aus den Großclubs Mainz und Berlin. Wobei für Mainz Daniil und Andrea netterweise nur jurierten, während Willy als Tabmaster aktiv war. Als einzig erfahreneres Team kannte ich bis zu diesem Zeitpunkt nur Anna Mattes mit Teampartnerin Sarah Kempf.
Am Ort des Geschehens gab es dann auch sogleich einen kleinen Schock. Michael Saliba aus Stuttgart und Niels Schröter aus Berlin hatten ein Mixed-Team gebildet und waren somit das mit Abstand erfahrenste und erfolgreichste Team in Frankfurt, weshalb sie kurzerhand zum Favoriten erklärt wurden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass einige Teams anwesend waren, die ich als uns klar überlegen eingeschätzt hätte. Im Allgemeinen war die Anzahl jedoch überschaubar – ein Break also durchaus im Bereich des Möglichen.
Der mentale Druck erhöhte sich etwas als wir unsere Zimmernachbarn kennenlernten. Timo und Fabian aus Würzburg hatten gehört, dass Tübingen unglaublich gut und erfolgreich sei und feierten uns schon vorab als große Helden der Debattierszene. Trotz einiger Beschwichtigungsversuchen, die darauf abzielten, die wahre Situation zu verharmlosen und die sich des Arguments bedienten, wir hätten im Grunde genommen seit drei Jahren keine ZEIT DEBATTE mehr gewonnen, blieb das Gefühl zurück, dass ein Verpassen des Breaks in größeren Kreisen eine Enttäuschung herbeiführen würde.
Es ging los in Runde eins mit Prostitution. Leider auf der Verbotsseite. Mit der Alice-Schwarzer-Petition hatten wir uns zwar beide nicht weiter befasst aber der Themenkomplex war durchaus bekannt. Auf Seiten der ersten Regierung machten wir einen soliden Case auf und konnten uns in einer anständigen, wenn auch nicht überragenden Debatte, den Sieg sichern.
Runde zwei brachte ein für mich neues und komplexes Thema: Dieses Haus findet Religionen überflüssig.
Religion ist ein Bereich in dem ich mich nicht allzu gut auskenne. Zum Glück hatte ich Jan als Teamkameraden, seines Zeichens Pfarrerssohn. In der Vorbereitungszeit hat er die verschiedenen klassischen Modelle der Religionskritik dargelegt und wir haben uns dann für das Feuerbachsche Modell entschieden. Dieser vertrat die Position, dass die Werte der Religionen nichts als die Projektion der Idealvorstellungen der Menschen seien und passte daher unserer Meinung nach perfekt zu diesem Thema.
Wir waren die zweite Regierung hinter dem Stuttgarter-Berliner Mixteam und wir hatten etwas Sorge, dass alle relevanten Punkte bereits verwendet worden wären, bis wir an die Reihe kämen. Mit unserer Wissensverteilung haben wir Jan auf die Extension-Position gesetzt, was mich zum ersten Mal seit ca. zwei Jahren zum Schlussredner machte. Ich muss gestehen, ich hatte großen Spaß den Juroren zu erklären, dass in der komplette erste Hälfte – angeführt von recht erfahrenen Teams – nichts anderes gemacht worden sei, als gegenseitig Beispiele auszutauschen. Wohingegen Jans Extension die Debatte innerhalb von zwei Minuten entscheidend gewendet und dominiert hat.
Ich hatte noch mehr Spaß als die Juroren dies genauso sahen und uns wiederrum den ersten Platz gaben. 6 Punkte aus zwei Runden, das Topteam geschlagen und in beiden Runden tolles Feedback bekommen. Es lief besser als erhofft!
In Runde drei gab ein Beutekunstthema. Wiederum hatten wir beide die entsprechenden Zeitungsartikel konsequent ignoriert, so dass unser Wissen nicht allzu tiefgründig war. Auf der ersten Opposition haben wir daher versucht, einfach alles argumentativ abzugrasen ohne uns auf jegliche rhetorische Kunststücke zu konzentrieren. Es war eine geschlossene Runde, d.h. es gab kein Feedback und keine Punkte. Basierend auf der nun folgenden Setzung, errechneten wir uns einen 1. oder 2. Platz.
Die vierte Runde brachte ein offenes Thema: Zu Dieses Haus geht auf Schatzsuche fanden wir uns in der schließenden Opposition wieder. Wir beschlossen, wie praktisch alle anderen auch, uns nicht vorzubereiten und warteten gespannt ab, was die Regierung aus Magdeburg aus dem Thema machen würde. Deren Antrag forderte eine Erbschaftssteuer von 100%. Die Verbindung zum Thema war allerdings eher konstruiert, wobei gleichzeitig keiner von uns eine exakte Verbindung erwartet hatte. In der nun folgenden Debatte stellten die Magdeburger einen löchrigen Antrag. Das Ergebnis war ein weiterer Sieg für die Streitkultur. Nach 4 von 5 Runden stand unser Punktekonto bei elf oder zwölf Punkten; das Halbfinale war damit sicher.
Im Laufe eines Turnieres ändern sich auch die Anforderungen an uns selbst. Während ich uns vor dem Turnier noch eine Breakchance von 50% zugeschrieben hatte, zielte zu diesem Zeitpunkt der Ehrgeiz eher auf eine Top-of-the-Tab-Platzierung als Einzel- und als Teamredner ab, bevorzugt natürlich mit vollen 15 Teampunkten. Wir befanden uns also in bis dato unbekannten Debattiersphären, fühlten uns da aber durchaus wohl.
In der fünften Vorrunde debattierten wir über Leiharbeit. Leiharbeit war auch das Thema der einzigen BP-Debatte, die wir dieses Jahr als Vorbereitung auf die Turniere gehalten haben. Daher war es nicht allzu tragisch, dass wir uns die ersten sechs Minuten für die falsche Seite vorbereiteten. Wir waren in der ersten Opposition, wir hatten gefühlt unendlich viel Material, wir hatten für die zweite Rede eine Extension die groß genug war, um den schließenden Teams alle Chancen und Hoffnungen zu nehmen. Wir fühlten uns gut aufgestellt und sahen dem Break entspannt entgegen.
Für den Break ging es in eine geräumige Bar in der guter Jazz gespielt wurde. Die hohen Getränkepreise wurden mit 2 Freigetränken pro Person kompensiert; die Stimmung war ausgelassen.
Um die Wartezeit für den Leser dieses Artikels kürzer zu gestalten, als sie für uns in Frankfurt war: Break auf Platz 1 mit 14 von 15 möglichen Punkten! Ausgerechnet in der letzten Runde haben wir nur den zweiten Platz geholt. Dieser kleine Schönheitsfehler war mit Mühe zu verschmerzen. Besonders die Top-of-the-Tab-Platzierung als Einzelredner hob meine Stimmung weiter. Nachdem wir das Tab ausgiebig studiert hatten und die Verwunderung langsam verblasste, dass unsere letzte Debatte die am niedrigsten Jurierte im kompletten bisherigen Turnier war, haben wir noch bis kurz nach zwei Uhr nachts getanzt (das ist man dem Ruf der Streitkultur schuldig!) und machten uns anschließend auf den Heimweg.
Im Halbfinale warteten ein thematischer Klassiker und starke Gegner auf uns. Über ein gemeinsames europäisches Asylrecht stritten wir in der Position der ersten Regierung mit Teams aus Berlin (SKB), Magdeburg und Aachen. Die erste Regierung stellt grade im Halbfinale eine sehr dankbare Position dar. Vor allem dann, wenn das Thema nicht ganz abwegig ist, ist die Chance, solide zu debattieren, recht hoch. Wenn dann noch alle Standardargumente sinnvoll dargelegt werden, wird es für die nachfolgenden Teams richtig schwer, noch besser zu sein. Wir redeten über die negativen Anreizstrukturen in den südeuropäischen Ländern, die die dortigen Regierungen dazu zwingt, eine menschenverachtende Asylpolitik zu betreiben und präsentierten als Lösung eine gleichmäßige Verteilung aller Asylbewerber, um dieses Problem zu lösen. Belohnt wurden wir mit dem Einzug ins Finale.
Zeitdebatte… Finale…Paulskirche….500 Zuschauer…
DH würde den Föderalismus in Deutschland abschaffen.
Ich bin diese Finalsituationen noch nicht gewöhnt und verbringe wahrscheinlich viel zu viel Zeit in der Debatte damit, das Publikum zu betrachten, anstatt den anderen Rednern zuzuhören. Aber wenn man einmal in solch einem Raum debattieren darf, will man die Zeit eben nicht mit irgendeiner seltsamen Debatte verschwenden, sondern entsprechend genießen. Getrieben von dem Gedanken, dass man in einem öffentlichen Finale aus der Extension irgendwas Größeres machen sollte als simple einen Mechanismus besser zu erklären und dem Zufall, dass ich zwei Wochen vor dem Turnier ein Referat zu Balance of Power gehalten hatte, beschloss ich, dieses Konzept auf den deutschen Föderalismus zu übertragen.
Es war eine riskante Idee. Aber eine Idee, die meiner Meinung nach die größten Siegchancen hatte. Wenn die Juroren den Punkt abkaufen würden, sollte er groß genug und tiefgründig genug analysiert worden sein um gegen alle anderen Teams zu gewinnen. Wenn nicht, würden wir sicherlich knallhart verlieren. Aber da im Finale nur der Sieg zählt, ist es dieses Risiko wert. Mit den gleichen Gedanken – klappt die Erklärung, gewinnen wir ohnehin – habe ich den Rest der Debatte weitgehend ignoriert und an meiner Rede gefeilt. Von einem großen, erhöhten Steinpult und vor einer riesigen Menge an Zuschauern zu reden, macht ungeheuren Spaß! Jans Rede bildete den Schlusspunkt des Turniers. In der Zeit als juriert wurde, haben wir uns mit verschiedensten Leuten kurz unterhalten. Die Meinungen gingen von “Punkt nicht verstanden”, “Argument hilft der Gegenseite”, “könnte geklappt haben”, “ihr ward super” bis zum Klassiker “Kann ich überhaupt nicht einschätzen”. Eine Melange all dessen stellte auch meinen persönlichen Blickwinkel dar.
Michel Friedmann kürte den besten Finalredner. Die Sicht des Publikums bzw. der Ehrenjury steht im Ruf, sich regelmäßig fundamental von der Meinung der Hauptjury zu unterscheiden. Friedmann fing an, Niels Schröters tollen Eröffnungssatz zu loben (“Wir sind hier, um Frankfurt zu Ende zu denken” – so oder so ähnlich) und Niels war schon dabei, aufzustehen, um den Preis anzunehmen. Friedmann redete jedoch einfach weiter und sagte, dass ein guter Einstiegssatz nicht alles in der Debatte sei, sondern andere Dinge auch noch entscheidend seien. Währenddessen versucht man immer, von der Umschreibung des Siegers auf dessen Namen zu schließen. Diesmal ist es mir nicht geglückt. Dementsprechend überrascht war ich auch, als mein Name genannt wurde. Ich war auch etwas verdutzt, als Herr Friedmann mir plötzlich ein Mikrophon in die Hand drückte. Normalerweise bekommt nur das Siegerteam die Möglichkeit, ein paar Worte zu äußern. Ich habe versucht diplomatisch zu sein und entgegen meiner Natur nicht zu sehr im Eigenlob zu schwelgen und stattdessen der Hauptjury zu übergeben.
Gewonnen hat Schlussendlich leider das von Anfang an favorisierte Stuttgarter-Berliner Mixteam. So hat Niels doch noch seinen Pokal bekommen. Auf jeden Fall würdige Sieger dieses Turniers, auch wenn es natürlich ein bisschen bitter ist, dass wir sie in den Vorrunden 2mal geschlagen haben, und es grade im Finale nicht mehr klappt. Aber das könnte auch einfach an der Finalerfahrung liegen, die die beiden in ungefähr 10fachem Ausmaß haben. Einen herzlichen Glückwunsch für die tolle Leistung im Finale für die beiden!
Was bringt uns dieses Turnier für die Zukunft? Die ZEIT DEBATTE Frankfurt war der vorläufige Höhepunkt in einer noch jungen aber hervorragend verlaufenden Saison. Nach dem gewonnenen Auftaktturnier in Mainz und die knapp verpasste Top-of-the-Tab-Platzierung in Freiburg folgten dominante Vorrunden und ein Preis im Finale in Frankfurt. Die Hoffnungen, dass ganz viele der sehr starken, erfahrenen Rednern nach der letzten Saison in den Ruhestand gegangen sind, hat sich in Frankfurt größtenteils erfüllt. Innerhalb meiner eigenen „Generation“ können wir gut mithalten; wobei ich der Meinung bin, dass einige Redner auf diesem Turnier nicht ihr volles Potential abrufen konnten. Wenn man bedenkt, dass Nikos, Lennart und Jan jeweils noch relativ neu im Debattieren sind, bzw. noch unter manche Anfängerdefinitionen fallen, lässt das für die Zukunft durchaus hoffen.
Unsere Ansprüche haben sich auf jeden Fall gesteigert. Während bisher die DDM 2015 als Ziel ausgegeben wurde, erscheint eine Top-Platzierung auch dieses Jahr zumindest nicht mehr als vollkommen utopisch.
Liebe Streitkultur, mit den bisherigen Ergebnissen, einer tollen Gruppe an Erstis und noch vielen Events in Tübingen, kann ich mit Zuversicht sagen: Das wird eine tolles Saison!
Konrad
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